Die Verbindung zu Alvar Aalto

Aus Tide Huesser’s Tagebuch

„Du glaubst, dass die Philosophie schon kompliziert genug sei, aber ich kann dir sagen, dass das gar nichts ist, verglichen  mit der Schwierigkeit ein guter Architekt zu sein.“ Ludwig Wittgenstein

1967 traf ich Alvar und Elissa Aalto im Büro von Ernst Gisel, Architekt in Zürich. Aalto gewann den Wettbewerb für eine Kirche in Zürich-Altstetten. Gisel war in der Jury. Elissa trug einen grossen blauen Hut. Von 1976-1987 war sie meine Chefin. Wir haben zusammen die Villa Hauta-Aho in Seinäjoki geplant (Bauherren Liisa und Seppo Kangas Hauta-Aho). Masater Asano war auch im Team. Elissa war sehr tüchtig und sympathisch.

Gisel sprach den alles entscheidenden Satz aus: „Sie müssen bei Aalto arbeiten!“ Ich plante eine Finnlandreise. Besuchte viele Aalto Bauten. In Seinäjoki das Stadtzentrum. Das Stadthaus mit Keramik verkleidet. Die Bibliothek: ein gebauter Goethe. Die großartige Kirche. Erstaunliche Vertikalkorrekturen an den Fenstern. Die Akustikmuschel bei der Kanzel wurde vergrößert. Die Änderung ist sichtbar geblieben. Ganz organisch: Variation und Zuwachs als Kern des Wesens der Architektur.

20 Jahre später. Einweihung des Theaters in Seinäjoki, posthum. Ich habe die Bauleitung gemacht. (Viele Flüge nach Seinäjoki). Auch die Piazza geplant und ausgeführt. Die Vuoksenniska Kirche ist mein persönlicher Favorit. Die Mozartassoziation/ Zauberflöte: Szene der Geharnischten, in der ein Choral rätselhaft frei über einen vierstimmigen Streichersatz schwebt. Mozarts Musik streift hier etwas nicht mehr Beschreibbares. Vuoksenniska entzieht sich jeder Analyse. Ich habe mich nicht getraut bei Aalto zu arbeiten. Ging nach Stockholm zu Léonie Geisendorf, einer polnischen Architektin, die bei Le Corbusier praktiziert hat. Ich habe die Villa Dellin in Djursholm bearbeitet. Diese wurde als beste Villa in Schweden im 20. Jahrhundert später ausgezeichnet.

1971 saß ich Alvar Aalto gegenüber in der Taverna, Tiilimäki 20. Sieben Sprachen hat er mir für das Interview vorgeschlagen. Die schwedische Sprache (Aaltos Muttersprache) und die Rekommandation von Urs Anner waren ausschlaggebend, dass ich einen Tisch bekam.

1971. Meine erste Arbeit. Ausführungspläne Erweiterung Hauptgebäude der Technische Universität Otaniemi. Meterlange Fassaden mit allen Ziegelschichten in Tusche.

1972. Kongressflügel der Finlandia Halle, Helsinki mit Kaarlo Leppänen. Ausführungspläne unter großem Zeitdruck. Opernhaus Essen. Urs Anner 11.151 Std. Tide Huesser 4.519 Std. Urs war der Chef. Mein Statement: Ohne Urs Anner wäre es nicht möglich gewesen, die Oper zu realisieren.

1972. Neues Zentrum Helsinki. 3. Projekt, Chefarchitekt Erkki Luoma. Die Oper wird nach Norden verschoben. Mit einem Platz an das Olympiastadion angebunden. Die oberste Terrasse (Terassitori) wird bebaut.

1978. Kirche Lahti mit Marjatta Kivijärvi. Der Turm (der Dachreiter) wurde 12m gekürzt. Die Kreuzfassade leicht zur Straßenachse abgedreht.

1982. Jyväskyla Theater. Habe die Fassaden studiert. Hauptfassade mit Karyatiden. Die aber wurden nicht ausgeführt. Keinen Künstler gefunden. Trotzdem ist die Fassade wunderschön. Dorische Sensibilität. Saalstudien.

1980. Visiting Professor in Cornell University, Ithaca NY. Mit Colin Rowe „thesis“ (Diplome) begleitet. Zurück aus Amerika fragte mich Elissa, ob ich am Seinäjoki Theater mitarbeiten möchte. Marjatta Kivijärvi war im Team. Elissa war nie auf der Baustelle. Letztendlich fühlte ich mich bei dem Projekt auf mich selbst gestellt.

Arbeitsklima im Atelier. Ich zitiere Göran Schildt: „Damit war das eine Grundelement des Arbeitsklimas etabliert: totale Freiheit ohne hemmende Konventionen. Das andere Element war die Perspektive einer hohen Sphäre von Intellekt und Kultur, geöffnet durch Aaltos ständigen Bezug auf Antike und Renaissance. Der Ausdruck vom lustvollem Spiel und  anarchistischer Freiheit, die Grundprägung des Arbeitsklimas in Aaltos Büro. Die Mitarbeiter lebten nie unter einem Diktat, sondern hatten eine bemerkenswerte Selbständigkeit genossen.

Seit 30 Jahren habe ich ein eigenes Büro in Arbon (Schweiz) am Bodensee. Ich baue keine Aalto-Kopien. Manchmal versuche ich eine, zwei oder drei Goldden Bells über den Esstischen meiner Bauherren aufzuhängen.